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Eine Stadt im Krieg
der Wandel der bosnischen Stadt Banja Luka (1990-1995)
Armina Galijas
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Oliver Jens Schmitt
DOI
10.25365/thesis.7573
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29432.05204.361563-7
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Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Im Unterschied zu bisherigen Publikationen, die sich entweder mit dem Zerfall des gesamten jugoslawischen Staates oder wiederum nur mit einem Aspekt des Krieges beschäftigen, analysiert diese Arbeit eine Stadt, die kein Schauplatz militärischer Auseinandersetzungen war. Die zweitgrößte bosnisch-herzegowinische Stadt Banja Luka durchlief zwischen 1992 und 1995 dennoch einen radikalen Wandel. Die Ethnisierung der Gesellschaft erreicht in den 1990er Jahren eine solche Intensität, dass vorhergehende historische Erfahrungen - die etwa die regionale Zugehörigkeit zu Bosnien-Herzegowina, die Gemeinsamkeiten in der Alltagskultur oder die Sprache geprägt hatten – verdrängt werden. Die bunte ethnische Landkarte Bosnien-Herzegowinas gehört heute der Vergangenheit an. Die nationalistischen Akteure, aber auch die Gesellschaft, die diese Denkstrukturen und Handlungsmuster unterstützt, erreichen eine komplette Umwandlung der Gesellschaft und des Alltags.
Die umfassende Transformation Banja Lukas zwischen 1992 und 1995 wird insbesondere durch den drastischen demographischen Wandel deutlich. Die durch den Wechsel der politischen Eliten bedingte, auch kulturell spürbare Veränderung zeichnet sich in Banja Luka nicht nur durch Flucht bzw. Vertreibung der bosniakischen, kroatischen und eines Teils der serbischen Bevölkerung, sondern auch durch die Zuflucht und Ansiedlung der Serben aus dem ländlichen Raum, sowie aus anderen Teilen Bosnien-Herzegowina und Kroatien.
Zu Beginn der 1990er Jahre erhebt die neue politische Elite die ethnische Zugehörigkeit gezielt zum Hauptkriterium des Lebens. Damit wurde die Geburtsurkunde, in welcher die nationale Zugehörigkeit verbrieft war, zum entscheidenden Dokument, welches zunächst Anstellung und Beruf sicherstellte, dann das Ausmaß an persönlicher Bewegungsfreiheit bestimmte und schließlich auch über Leben und Tod entschied. Mit der Ethnisierung ihres Lebens verlieren die Menschen das Recht auf eigene Identitäten und Individualität – an die Leerstelle rückt die Person als pluralia tantum, als Plural ohne Singular.
Die vorliegende Arbeit untersucht den Verlauf und die Auswirkungen dieser Transformation aus zwei Perspektiven. Einerseits durchleuchtet sie sozialgeschichtlich den Aufbau einer neuen städtischen Führungsschicht und eines neuen politischen Systems. Andererseits analysiert sie das individuelle Alltagsleben. Wie gestalten die Bewohner Banja Lukas ihren Alltag? In welchem Verhältnis stehen sie zu den gesellschaftlichen Institutionen? Die Arbeit verbindet Sozial- mit der Alltags- und Kulturgeschichte und verknüpft sie zu dem Konzept der Lebenswelt (Heiko Haumann). Ziel ist es, Schnittstellen und Wechselwirkungen zwischen System einerseits, sowie Individuum und Kollektiv andererseits zu identifizieren. Dabei geht die Arbeit den Ereignissen, die zur Transformation der städtischen Gesellschaft führten, zuerst von oben nach. Sie analysiert gesellschaftliche Institutionen und deren Strukturen, da im Wesentlichen die politische Elite den Wandel eingeleitet hat. Mit dem Konzept der Lebenswelt lassen sich solche Transformationsprozesse, die dazu notwendigen Machtinstrumentarien, aber auch das Handeln der ‚Vielen’ auf der Mikroebene präzise untersuchen. Was auf der makrogeschichtlichen Ebene verborgen bleibt, wird auf mikrogeschichtlicher Ebene begreifbar.
Am Beispiel der Stadt Banja Luka lassen sich der Wandel gesellschaftlicher Strukturen im Krieg, individuelle Spielräume, die Identitätspolitik der postjugoslawischen Gesellschaft und die daraus resultierende Zerstörung des ethnischen Pluralismus paradigmatisch darstellen.
Die ethnischen Matrices, nach welchen die ganze bosnisch-herzegowinische Gesellschaft heute angeordnet ist und nach denen letztendlich das Gesamtleben in Bosnien-Herzegowina (nicht) funktioniert, sind das wichtigste Hindernis für die Entwicklung der bosnisch-herzegowinischen Gesellschaft in Richtung eines demokratischen Rechtsstaats. Banja Luka wird weiterhin als eine serbische verschlossene und fremdenfeindliche Stadt bleiben. Und die Kultur, wie sie vor dem Krieg existiert hat, wird nie wieder aufleben, zumindest so lange nicht, wie die dominanten Strukturen in Bildung, Kultur und Politik ethnisch bestimmt werden.
Abstract
(Englisch)
Unlike past publications which concern themselves either with the decay of the entire Yugoslav state or only with an aspect of the war, this work analyzes a city which was not a scene of military conflict. Nevertheless, the second largest city in Bosnia-Herzegovina, Banja Luka, went through a radical change between 1992 and 1995.
The ethnicization of the society reached such intensity in the 1990’s, that preceding historical experiences - those that for instance shaped the regional affiliation to Bosnia-Herzegovina, the similarities in everyday culture or the language - have been completely displaced. Today, Bosnia-Herzegovina’s multi-colored ethnic map belongs to the past. The nationalistic participants and all those who support these thinking structures and action patterns, achieved the state of a complete transformation of society and everyday life.
Banja Luka’s comprehensive transformation between 1992 and 1995 becomes evident in particular by looking at the drastic demographic change. The change of the political elite and noticeable cultural change is portrayed in Banja Luka not only by the expulsion of the Bosniak, Croatian and a part of the Serbian population, but also by the refugee influx and settlement of the Serbs from the rural areas, as well as from other parts of Bosnia-Herzegovina and Croatia.
At the beginning of the 1990’s the new political elite purposefully raised the ethnic affiliation as the main criterion of life. Thus the birth certificate in which the national affiliation was confirmed by a document became a crucial document which predetermined at first employment and occupation, then a degree of personal freedom of movement, and finally decided over the matters of life and death. With the ethnicization of their lives, the people lost the right to their own identities and individuality - and in this blank space a person became transformed to pluralia tantum, a Plural without Singular.
This work examines the process and the effects of this transformation from two perspectives. On one hand, it socio-historically follows the structure of a new urban ruling class and a new political system. On the other, it analyzes the individual everyday life. How do the inhabitants of Banja Luka live their everyday lives? What’s their relationship to social institutions? This work connects social history with everyday life and cultural history, and links it to the concept of Environment (Heiko Haumann).
The goal is to identify the interfaces and reciprocal effects between the system on one side, and the individual and the collective on the other. This work firstly follows the events which led to the transformation of the urban society. Then analyzes social institutions and their structures, since the political elite essentially introduced the change. Such transformation processes and the necessary instruments that give them power, as well as the “acting of many” can be precisely examined in a concept of Environment. The things that remain hidden on the macro-historical level, become understandable on micro-historical level.
By the example of the city of Banja Luka the change of social structures in the war, the individual leeway, the identity politics of the post-Yugoslav society and the destruction of the ethnic pluralism resulting from it, can all be displayed pragmatically.
The ethnic matrix, after which the whole society of Bosnia-Herzegovina’s is arranged today and after which the total life in Bosnia-Herzegovina functions (or can’t function for that matter), is the most important obstacle for the development of the Bosnia-Herzegovina’s society toward a democratic constitutional state. Banja Luka will remain further a Serbian close-minded and xenophobic city. And the culture, how it existed before the war, will never again be revived, or at least not as long as the dominant factors in education, culture and politics are ethnically determined.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Englisch)
Bosnia-Herzegovina Banja Luka War 1990 - 1995 expulsion ethnic affiliation ethnicization micro-historical level post-Yugoslav society
Schlagwörter
(Deutsch)
Bosnien-Herzegowina Banja Luka Krieg Vertreibung Ethnisierung ethnische Matrix Konflikt Stadtgeschichte ethnische Mobilisierung Republika Srpska Serbisch-Orthodoxe Kirche Alltag im Krieg
Autor*innen
Armina Galijas
Haupttitel (Deutsch)
Eine Stadt im Krieg
Hauptuntertitel (Deutsch)
der Wandel der bosnischen Stadt Banja Luka (1990-1995)
Paralleltitel (Englisch)
A city at war ; the Bosnian city Banja Luka between 1990 and 1995
Publikationsjahr
2009
Umfangsangabe
425 S. : Ill., Kt.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Oliver Jens Schmitt ,
Arnold Suppan
AC Nummer
AC08087700
Utheses ID
6867
Studienkennzahl
UA | 092 | 312 | |