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Erinnerungsmilieus im Rechtspopulismus
über die Rolle von Parteien als Milieus bestimmter Erinnerungskulturen : eine computergestützte Aussagenanalyse an Beispielen rechtspopulistischer Parteien aus Österreich, Deutschland und der Schweiz
Andrea Romstorfer
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Doktoratsstudium der Philosophie Geschichte
Betreuer*in
Wolfgang Schmale
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.77372
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-24009.85886.978559-8
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Gegenstand dieser Dissertation ist die Erforschung der Relevanz und Funktion von Erinnerungskulturen in politischen Diskursen. Dies geschieht am Beispiel einer Auswahl von Parteien aus dem rechtspopulistischen Spektrum.(1) Es wird gefragt, ob Parteien als „Milieus“ bestimmter Erinnerungskulturen fungieren, indem sie sich durch einen öffentlichen Umgang mit Geschichte auszeichnen, der typisch oder spezifisch für ihr politisches Spektrum ist. Der analytische Fokus liegt auf der Beschreibung der nationalen Gesellschaft anhand von Merkmalen und darauf, wie der Bezug zur Geschichte diese unterstützt. Das hypothetische Verhältnis von Identitätspolitik und Erinnerungskultur wird als „Rekonstruktivität“ bezeichnet.(2) Eine weitere Hypothese lautet, dass Rechtspopulismus einer ideologischen Fortsetzung von rechtem Nationalismus entspricht. Die Rekonstruktivität der Parteien wird folglich im Vergleich zu dieser ideengeschichtlichen Tradition diskutiert. Forschungsleitende Fragen lauten zum Beispiel: .) Wie werden Vorstellungen über Zugehörigkeit in den Aussagen der Parteien formuliert? .) Werden die Merkmale der nationalen Wir-Gruppe historisch begründet und anhand welcher Ereignisse oder Errungenschaften? .) Wie relevant ist Kommunikation über Vergangenheit für die Beschreibung gesellschaftlicher Kategorien (positive Wir-Gruppe/n und negative Sie-Gruppe/n)? Die Parteiprogramme der ausgewählten Parteien wurden mittels einer Aussagenanalyse auf spezifische Vergleichskriterien hin untersucht, um ideologische und erinnerungskulturelle Gemeinsamkeiten oder Unterschiede herauszuarbeiten. Hierfür wurde Spezialliteratur zu Diskurs- und Textanalysen, Nationalismustheorien und Erinnerungskulturen unterstützend herangezogen.(3) Um die Analyse dieses multikriteriellen Vergleichs zu systematisieren, wurde das Verfahren in eine relationale Datenbank integriert. Damit sind sowohl die untersuchten Aussagen als auch die Bewertungen (Ergebnisse) zugänglich. Die empirische Grundlage bilden semantische Daten, die mittels der „Erinnerungsdatenbank“ erfasst, beschrieben und ausgewertet werden. Durch Implementierung des Analyseverfahrens in die Datenbank werden alle inhärenten Entscheidungen – von der Beschreibung der Quelle bis zur Bewertung der Aussagen – in einen invarianten und wiederholbaren Prozess integriert und lückenlos dokumentiert. Ein Erinnerungsmilieu, das sich zwischen den rechtspopulistischen Vergleichsparteien in Form eines übereinstimmenden Wissens- und Erinnerungsvorrats nachweisen ließe, wird durch die Ergebnisse der Aussagenanalyse nicht bestätigt. Die Erinnerungslandschaften, die in den Primärquellen abgebildet werden, sind nicht homogen, zeigen allerdings schematische und thematische Übereinstimmungen. Das betrifft beispielsweise: .) die pejorative Deutung der EU-Geschichte .) die Ignoranz gegenüber dem historischen Beitrag von Frauen in der legitimen Wir-Gruppe und gegenüber frauenpolitischen Forderungen .) das gemeinsame Schweigen über den Nationalsozialismus und die Shoah Die Ergebnisse zeigen, dass es einen vergleichbaren Umgang mit Geschichte gibt. Dazu gehört, dass sich die nationalistische Ideologie in den Aussagen der Vergleichsparteien fortsetzt. Die territoriale Begrenzung der Vergangenheitsbezüge entspricht einer nationalistischen Logik, da neue oder Einflüsse der negativen Sie-Gruppen innerhalb des Vorrats an kollektiven Erfahrungsgeschichten ausgelassen werden. Die Vergangenheit wird in den Partei- und Wahlprogrammen auf ihre Funktion als rhetorische Strategie reduziert. Alle Vergleichsparteien beziehen sich für die Begründung ihrer Vorstellungen und Forderungen auf eine „gefühlte Geschichte“.(4) Dieses rhetorische Manöver weist auf einen „rechtspopulistischen Erinnerungs-Habitus“ hin, der sich zum Beispiel in der Diskrepanz zwischen den erinnerungskulturellen Praktiken in der Öffentlichkeit und dem Geschichtsverständnis in den Parteiprogrammen ausdrückt.(5) Außerdem gibt es die meisten Übereinstimmungen hinsichtlich vager Vergangenheitsbezüge. Fundiertes Geschichtswissen ist als Begründungsstrategie weitgehend unerheblich. Komplexe historische Ereignisse werden trivialisiert und in postfaktische Narrative integriert, mittels derer sich die Parteien gegenseitig unterstützten. Deutlich wird dies anhand: .) des EU-Feindbilds sowie des Widerstands gegen die EU-Integration .) der häufigen Bezugnahme auf das Abendland .) der selektiven Solidarität .) der Verteidigung des Ethnopluralismus (Europa der Vaterländer/Nationen) Die Negation spezifischer vergangener Entwicklungen und normativer Errungenschaften der Demokratie (Menschenrechte) sowie vage Vergangenheitsbezüge ersetzten die begründete Argumentation ihrer tendenziell gegenaufklärerischen Positionen. Anmerkungen (1) Folgende Parteien und Programme wurden ausgewählt: Die „Freiheitliche Partei Österreichs“ (FPÖ): Parteiprogramm 2005, Parteiprogramm 2011 und Wahlprogramm 2016. Die „Alternative für Deutschland“ (AfD): Parteiprogramm 2013, Parteiprogramm 2016 und Wahlprogramm 2014. Die „Republikaner“ (REP): Parteiprogramm 2002, Parteiprogramm 2011 und Wahlprogramm 2013. Die „Schweizerische Volkspartei“ (SVP): Wahlprogramm 2007-2011, Parteiprogramm 2011-2015 und Parteiprogramm 2015-2019. (2) Vgl. Christian Gudehus, Ariane Eichenberg und Harald Welzer, Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Handbuch (Stuttgart/Weimar 2010) S. 2-3, 8-9, 11-14, 16-17, 20, 81-82. Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis. Ferdinand Enke Verlag (Stuttgart 1967) S. 34-58, 77-125. Jan Assmann, Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. In: (Hg.) Jan Assmann und Tonio Hölscher, Kultur und Gedächtnis (Frankfurt am Main 1988) S. 13. (3) Aus Platzgründen kann hier nur eine Auswahl genannt werden: Werner T. Bauer, Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien in Europa. (Hg.) Österreichische Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung. Aktualisierte und überarbeitete Fassung (Wien 2016). Mathias Berek, Kollektives Gedächtnis und die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Erinnerungskulturen. In: (Hg.) Stefan Breuer, Eckart Otto und Hubert Treiber, Kultur- und sozialwissenschaftliche Studien, Band 2 (Wiesbaden 2009). (Hg) Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus. Deuticke Verlag (Wien 1993). Roger Eatwell and Matthew Goodwin, National Populism. The Revolt Against Liberal Democracy. A Pelican Book, Penguin Random House UK, second ed. (London 2018). (Hg.) Wolfgang Eismann, Rechtspopulismus. Österreichische Krankheit oder europäische Normalität? (Wien 2002). Thomas Frank, The People, No. A Brief History of Anti-Populism. Metropolitan Books (New York 2020). Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780. Dritte Auflage, Campus Verlag (Frankfurt/New York 2005). Achim Landwehr, Geschichte des Sagbaren. Einführung in die historische Diskursanalyse. In: (Hg.) A. Gestrich, I. Marßolek et al., Historische Einführungen, Band 8, edition diskord, Tübingen 2001 (4. Auflage 2004). (Hg.) Martin Langebach und Michael Sturm, Erinnerungsorte der extremen Rechten. Edition Rechtsextremismus (Wiesbaden 2015). Armin Schäfer und Michael Zürn, Die demokratische Regression. Die politischen Ursachen des autoritären Populismus (Berlin 2021). Anthony D. Smith, Nationalism and Modernism. A critical survey of recent theories of nations and nationalism. Routledge Verlag (London/New York 1998). Ruth Wodak, Politikwissenschaft und Diskursanalyse: Diskurs in/der Politik. In: (Hg.) Andrei Markovits und Sieglinde Rosenberger, Demokratie. Modus und Telos (Wien/Köln/Weimar 2001). (Hg.) Ruth Wodak and Christoph Ludwig, Challenges in a changing world: issues in critical discourse analysis. Passagen-Verlag (Wien 1999). (4) Anthony D. Smith, Nationalism and Modernism (London/New York 1998) S. 159-167, 162 zit. n. Walker Connor, Ethno-Nationalism: The Quest for Understanding. Princeton University Press (Princeton NJ 1994) S. 202; Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. Zweite Auflage 1996. Campus Verlag (Frankfurt/New York 2005) S. 157. (5) Vgl. Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. 24. Auflage 2014. Suhrkamp Verlag (Frankfurt am Main 1982).
Abstract
(Englisch)
The central question of this dissertation deals with cultures of remembrance in political discourse using the examples of four German-speaking right-wing populist parties. Within a selection of primary sources (party and election manifestos), the analysis of their statements focuses on the impact of remembrance - or even knowledge of history - on their concepts of national identity. The first approach is to explore whether they mention the past (like events, people or symbols) to explain and justify their perception of the national society (positive in-groups and negative out-groups). The second emphasis is on the rhetorical realisation of membership through distinctive attributes and strategies. According to Pierre Bourdieu, a group recognises its members along intrinsic features and separates itself from others by the same process (internalised structure of perception). He also states that a specific stock of knowledge is such a distinguishing feature (P. Bourdieu 1982/p. 17-28, 277-285; Bourdieu 1985/p. 723-744). Profound studies such as Ruth Wodak's 'discourse-historical method', as well as seminal works on collective memory, argue that the delineation of a group's commemorative culture also follows specific criteria (R. Wodak 2001/p. 77-84). This thesis therefore asks if the parties' relationship to the past identifies them as a political group or spectrum. Another question is whether their modes of identification follow the tradition of nationalism in terms of the history of ideas. Hence, this project proposes a set of distinctive attributes and commemorative elements as significant for the investigation. On the basis of these intrinsic criteria, the author has designed a computerised analytical process to enable a processual investigation of all primary sources. Integrating the analytical process into a database allows consistent comparison of semantic information. All decisions relating to the analysis and results are revealed within the database design. The discursive results become transparent and comparable. In addition, the database provides a clear presentation of the empirical data and easy access to the primary sources (source criticism).   References Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Übersetzt von Bernd Schwibs und Achim Russer. 24. Auflage 2014. Suhrkamp Verlag (Frankfurt am Main 1982). Pierre Bourdieu, The Social Space and the Genesis of Groups. In: Theory and Society 14 (Amsterdam 1985) p. 723-744. Ruth Wodak, Politikwissenschaft und Diskursanalyse: Diskurs in/der Politik. In: (Hg.) Andrei Markovits und Sieglinde Rosenberger, Demokratie. Modus und Telos. Böhlau Verlag (Wien/Köln/Weimar 2001). Further references (Hg.) Jan Assmann und Tonio Hölscher, Kultur und Gedächtnis. 1. Auflage, Suhrkamp Verlag (Frankfurt am Main 1988). Jan Assman, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. Zweite Auflage, Oscar Beck Verlag, (München 1997). Elena Esposito, Soziales Vergessen. Formen und Medien des Gedächtnisses der Gesellschaft. Mit einem Nachwort von Jan Assmann. Suhrkamp Verlag (Frankfurt am Main 2002). Mathias Berek, Kollektives Gedächtnis und die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Erinnerungskulturen. In: (Hg.) Stefan Breuer, Eckart Otto und Hubert Treiber, Kultur- und sozialwissenschaftliche Studien, Band 2 (Wiesbaden 2009). Werner T. Bauer, Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien in Europa. (Hg.) Österreichische Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung. Aktualisierte und überarbeitete Fassung (Wien 2016). (Hg) Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus. Deuticke Verlag (Wien 1993). Roger Eatwell and Matthew Goodwin, National Populism. The Revolt Against Liberal Democracy. A Pelican Book, Penguin Random House UK, second ed. (London 2018). (Hg.) Wolfgang Eismann, Rechtspopulismus. Österreichische Krankheit oder europäische Normalität? (Wien 2002). Thomas Frank, The People, No. A Brief History of Anti-Populism. Metropolitan Books (New York 2020). (Hg.) Christian Gudehus, Ariane Eichenberg und Harald Welzer, Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Handbuch. Verlag J. B. Metzler (Stuttgart/Weimar 2010). Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis. Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. H. Maus (Marburg/L.). Ferdinand Enke Verlag (Stuttgart 1967). Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780. Dritte Auflage, Campus Verlag (Frankfurt/New York 2005). Achim Landwehr, Geschichte des Sagbaren. Einführung in die historische Diskursanalyse. In: (Hg.) A. Gestrich, I. Marßolek et al., Historische Einführungen, Band 8, edition diskord, 4. Auflage 2004 (Tübingen 2001). (Hg.) Martin Langebach und Michael Sturm, Erinnerungsorte der extremen Rechten. Edition Rechtsextremismus (Wiesbaden 2015). Armin Schäfer und Michael Zürn, Die demokratische Regression. Die politischen Ursachen des autoritären Populismus (Berlin 2021). Anthony D. Smith, Nationalism and Modernism. A critical survey of recent theories of nations and nationalism. Routledge Verlag (London/New York 1998). Harald Welzer, Das soziale Gedächtnis. In: (Hg.) Harald Welzer, Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung. Erste Auflage, Hamburger Edition (Hamburg 2001). (Hg.) Ruth Wodak and Christoph Ludwig, Challenges in a changing world: issues in critical discourse analysis. Passagen-Verlag (Wien 1999).

Schlagwörter

Schlagwörter
(Deutsch)
Rechtspopulismus Erinnerungskultur D-A-CH Vergleich Aussagenanalyse
Schlagwörter
(Englisch)
right-wing populism culture of remembrance Germany Austria Switzerland statement analysis
Autor*innen
Andrea Romstorfer
Haupttitel (Deutsch)
Erinnerungsmilieus im Rechtspopulismus
Hauptuntertitel (Deutsch)
über die Rolle von Parteien als Milieus bestimmter Erinnerungskulturen : eine computergestützte Aussagenanalyse an Beispielen rechtspopulistischer Parteien aus Österreich, Deutschland und der Schweiz
Paralleltitel (Englisch)
Milieus of remembrance among right-wing populism
Paralleluntertitel ()
a study about the commemorative settings of political parties based on four examples from Austria, Germany and Switzerland
Publikationsjahr
2024
Umfangsangabe
246, 449 Seiten
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Andrea Brait ,
Werner Suppanz
Klassifikationen
15 Geschichte > 15.03 Theorie und Methoden der Geschichtswissenschaft ,
15 Geschichte > 15.06 Politische Geschichte ,
15 Geschichte > 15.07 Kulturgeschichte
AC Nummer
AC17396888
Utheses ID
71836
Studienkennzahl
UA | 792 | 312 | |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1