Detailansicht
"Das könnte irgendeine Brücke sein zur Welt"
Hannah Plachel
Art der Arbeit
Masterarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Psychologie
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Masterstudium Psychologie
Betreuer*in
Thomas Slunecko
DOI
10.25365/thesis.76688
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-14206.39103.627623-5
Link zu u:search
(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Gegenstand dieser qualitativ-rekonstruktiven Arbeit ist das Phänomen der Selbstdiagnosepraxis im medialen Neurodiversitätsdiskurs. Ausgehend von theoretischen Sensibilisierungen aus der Kulturpsychologie, der feministischen Ungerechtigkeitsforschung und aus Medientheorien wird analysiert, wie junge Erwachsene in der Ko-Konstitution mit sozialen Medien Begriffe und Konzepte aus Psychopathologie und Neurodiversität entlehnen, erproben oder sich aneignen. Ziel der Arbeit ist es, implizite Wissensbestände und kollektive Handlungsorientierungen zu rekonstruieren, die diese Aneignung leiten. Dazu wurden zwischen Dezember 2023 und Februar 2024 vier Gruppendiskussionen mit jeweils drei bis vier Teilnehmenden durchgeführt und mit der dokumentarischen Methode nach Bohnsack ausgewertet. Fallübergreifend kann ein Orientierungsrahmen der Erklärbarkeit als handlungsleitend rekonstruiert werden. Er spannt sich zwischen der Isolation durch ein diffuses Gefühl des Andersseins und dem Streben nach Selbst- und Fremdverstehen auf. Unabhängig vom Vorliegen einer Psy*-Diagnose eint die Teilnehmenden das Bedürfnis, ihr Handeln zu erklären und nach außen zu kommunizieren. Ausgangssituation für eine selbstdiagnostische Praxis ist eine doppelte Ausgrenzungserfahrung, die die Personen von einer Norm des ‚Gesunden‘, aber auch von einer normativen Abweichung im Sinne einer eindeutigen Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit manualkonformer Symptomatik distanziert. Erst durch die Selbstdiagnose und die Deutungsangebote einer geschlechtersensiblen Neurodiversität können sie eine Verbindung zur und eine Einordnung in eine gemeinsame Welt herstellen. Eine Erklärung allein aus dem lebensweltlichen Erleben und Handeln heraus war ihnen noch nicht möglich gewesen. Neurodivergenz wird in den Gruppendiskussionen als biologisch begründete Vielfalt verhandelt, die den eigenen Lebensweg erklärt. Bilder und Erfahrungsberichte im Internet geben dem Erleben und Handeln einen Sinn und erlauben es, alte Erklärungsmuster bzw. Fremdzuschreibungen wie Faulheit und Egoismus abzulegen. Es dokumentiert sich zudem ein generations- und geschlechtsspezifischer Habitus von Wissenden, der aus der Differenz zu der Handlungspraxis von Erwachsenen und Therpeut_innen im und mit dem Internet resultiert. Die Selbstdiagnosepraxis erweist sich dabei als ein enaktives Potenzial, das eng mit der Medienpraxis der Akteur_innen verknüpft ist.
Abstract
(Englisch)
This qualitative-reconstructive study addresses the phenomenon of self-diagnosis within the media-driven neurodiversity discourse. Drawing on theoretical insights from cultural psychology, feminist injustice research, and media theories, the analysis focused on how young adults, in co-constitution with social media, adopt, experiment with or appropriate terms and concepts from psychopathology and neurodiversity. The aim of this study was to reconstruct the implicit knowledge and collective orientations that guide this practice. To this end, four group discussions with three to four participants each were conducted between December 2023 and February 2024. The material was analysed using the Documentary Method by Ralf Bohnsack. Explicability was reconstructed as the cross-case frame of orientation, spanning from the isolation caused by a diffuse sense of being different to the striving for self- and mutual understanding. Regardless of whether they had a psy* diagnosis, participants shared a common need to explain and communicate their feelings and actions. The starting point for self-diagnostic practices seems to be a dual experience of exclusion that distances individuals both from the norm of the healthy and from a deviation that would clearly align them with a group conforming to diagnostic criteria. It is only through self-diagnosis and the interpretative frameworks of gender-sensitive neurodiversity that they can establish a connection to and find a place within a shared world. This had previously been inaccessible through their lived experiences alone. In the group discussions, neurodivergence was negotiated as biological diversity that explains their life trajectories. A generational and gender-specific habitus of the knowers could be reconstructed. This results from the difference in practical action in comparison to adults and therapists on and with the internet. Images and personal stories on the internet give meaning to the experiences and actions of young people, allowing them to discard outdated explanatory models and external attributions such as laziness and selfishness. Self-diagnosis thus proves to be a potential to enact the collective orientation and is closely linked to the media practices of the actors involved.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Deutsch)
Gruppendiskussion Dokumentarische Methode Rekonstruktive Sozialforschung Kulturpsychologie Epistemische Ungerechtigkeit Soziale Medien Neurodiversität Neurodivergenz Psychologisierung Identität Selbstdiagnose feministische Psychologien
Schlagwörter
(Englisch)
neurodiversity neurodivergence identity self-diagnosis psychologisation social media group discussion documentary method qualitative social research cultural psychologies feminist psychologies
Autor*innen
Hannah Plachel
Haupttitel (Deutsch)
"Das könnte irgendeine Brücke sein zur Welt"
Paralleltitel (Englisch)
The phenomenon of self-diagnosis within the media-driven neurodiversity discourse
Publikationsjahr
2024
Umfangsangabe
214 Seiten : Illustrationen
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Thomas Slunecko
AC Nummer
AC17330823
Utheses ID
72650
Studienkennzahl
UA | 066 | 840 | |
