Detailansicht
Zwischen Menschenwürde und Autonomie
ethische Herausforderungen der Präimplantationsdiagnostik
Barbara Kräftner
Art der Arbeit
Masterarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Masterstudium Interdisziplinäre Ethik
Betreuer*in
Martin Huth
DOI
10.25365/thesis.77554
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-30989.67639.148176-7
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Die vorliegende Masterarbeit setzt sich mit der Frage auseinander, ob und inwieweit durch die moderne Fortpflanzungsmedizin, hier am Beispiel der Präimplantationsdiagnostik (PID) erläutert, die Begriffe Menschenwürde und Autonomie einen Bedeutungs- bzw. Wertewandel erfahren. Es wird in diesem Kontext versucht, die Begriffe Menschenwürde und Autonomie zu beleuchten und in Beziehung zu setzen. Dabei wird der Frage nach dem moralischen Status von Embryos nachgegangen und gleichsam werden gesellschaftliche Folgen betreffend das Menschenbild und den Umgang mit Menschen mit Behinderungen behandelt. Nach der Darstellung medizinischer und rechtlicher Grundlagen im Zusammenhang mit der PID erfolgt eine Annäherung an den Begriff der Menschenwürde, dem besonders in der bioethischen Debatte kulturell gesellschaftlich große Bedeutung und moralische Relevanz zukommt. Dabei werden Konzepte vorgestellt, die sich mit Menschenwürde im Lebenskontext beschäftigen. Diese werden dahingehend untersucht, ob sie in der Diskussion um das ungeborene Leben als Argumentationsbasis dienen können. Als hilfreich erweisen sich Zugänge, die den Menschenwürdebegriff auf alle menschlichen Wesen ausweiten unabhängig von deren Eigenschaften und Leistungsfähigkeit. Zum einen handelt es sich um Konzepte, welche die normative Bedeutung des Menschenwürdebegriffs betonen, und zum anderen solche, die soziale Beziehungen ins Zentrum rücken, wodurch Begriffe wie Verantwortung, Fürsorge und soziale Verpflichtung an Relevanz gewinnen. Im Rahmen der Frage nach dem moralischen Status von Embryos werden drei Modelle vorgestellt und hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit überprüft. Das Personenmodell spricht bereits dem frühen Embryo Menschenwürde zu und richtet den Fokus vordergründig auf den sich daraus entwickelnden Menschen, jedoch werden dabei die Abhängigkeit des Embryos von der Mutter sowie deren Recht auf Autonomie außer Acht gelassen, weshalb dieses Modell nicht realisierbar wirkt. Es entspricht nicht den Werten einer pluralen Gesellschaft und verurteilt die neuen technischen Möglichkeiten in der reproduktiven Medizin. Nach dem Objekt-Modell erfährt der Embryo weder Menschenwürde noch Schutzwürdigkeit, was den gesellschaftlichen Wertvorstellungen widerspricht und somit überwiegend keine Akzeptanz erfährt. Als brauchbar erweist sich das Progredienzmodell, das in der Gesetzgebung ihren Ausdruck findet und von der intuitiven, moralischen Überzeugung der wachsenden Schutzwürdigkeit des Embryos abhängig vom Entwicklungsstand ausgeht, weshalb auf den Begriff der Menschenwürde verzichtet wird. Dieses Modell wird den komplexen Anforderungen und Lebenssituationen einer modernen Gesellschaft am ehesten gerecht, denn es können abhängig vom nationalen Recht und den individuellen Bedürfnissen der Frau bzw. Eltern, den zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten und unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Embryos bzw. Fötus Entscheidungen getroffen werden, in denen die Autonomie der Frau bzw. Eltern sowie ihre Beziehung und Verantwortung dem Ungeborenen gegenüber zum Ausdruck gebracht werden. Wie in der Arbeit gezeigt werden konnte, erfahren personale Autonomie und Selbstbestimmung in den letzten Jahrzehnten durch die gesellschaftlichen Entwicklungen einen Bedeutungsgewinn, was in der Medizin im Konzept des „informed consent“ seine Umsetzung gefunden hat. Die Autonomiebestrebungen, bedingt u. a. durch die technischen Möglichkeiten besonders in der PND und der PID, lassen oftmals den Anspruch auf ein gesundes bzw. nicht beeinträchtigtes Kind entstehen. Hinter den vermeintlich autonom getroffenen Entscheidungen wird jedoch u. a. gesellschaftlicher Druck vermutet, der das Recht auf Selbstbestimmung konterkariert. Ausgehend von diesem Einwand werden weitere ethische Herausforderungen im Zusammenhang mit der PID thematisiert. Durch das selektive Verfahren werden Auswirkungen auf das Menschenbild angenommen, was eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen sowie eugenische Bestrebungen in der Medizin fördern kann. Zusammenfassend wird festgestellt, dass die Frage hinsichtlich eines Bedeutungs- bzw. Wertewandels im Begriff der Menschenwürde aufgrund des Fortschritts in der Reproduktionsmedizin verneint werden kann. Das Argument der Menschenwürde besitzt zwar eine enorme ethische Relevanz, jedoch leidet der bioethische Diskurs an der Mehrdeutigkeit und der unpräzisen, teilweise widersprüchlichen Verwendung des Begriffs. Weiters wird im Rahmen der Arbeit erkannt, dass im Umgang mit Embryos die Anwendung des Menschenwürdebegriffs nicht haltbar ist aufgrund der daraus abzuleitenden enormen Schutzrechte für sogar embryonale Zellen, was gravierende Auswirkungen auf die aktuelle Gesetzeslage sowie Autonomie der Frau bzw. Eltern zur Folge hätte, was wiederum für die abgestufte Schutzwürdigkeit von Embryos bzw. Föten abhängig vom Entwicklungsstand spricht. Auffallend erscheint, dass Menschenwürde und Autonomie, die in der philosophischen Tradition oftmals in einem Zusammenhang erwähnt werden, in der bioethischen Debatte als konkurrierende Werte behandelt werden. Der Begriff der Menschenwürde wird meist mit den vermeintlichen Rechten des Embryos in Verbindung gebracht, jener der Autonomie hingegen, um die Rechte der Frau bzw. Eltern aufzuzeigen. Daraus folgt abschließend, dass der Beziehung zwischen Mutter bzw. Eltern und Embryo bzw. Fötus und der daraus erwachsenden Verantwortung sowie der Information und Aufklärung durch die Politik große Bedeutung im Rahmen der PND und PID zukommen, um die Interessen auf beiden Seiten achten sowie die technischen Errungenschaften im Bereich der Reproduktionsmedizin verantwortungsvoll nutzen zu können.
Abstract
(Englisch)
This Master's thesis deals with the question of whether and to what extent the concepts of human dignity and autonomy have undergone a change in meaning and values as a result of modern reproductive medicine, explained here using the example of preimplantation genetic diagnosis (PGD). In this context, an attempt is made to shed light on the concepts of human dignity and autonomy and to relate them to each other. The question of the moral status of embryos is explored and, at the same time, social consequences concerning the image of humanity and the treatment of people with disabilities are addressed. Following the presentation of basic medical and legal facts in concerning PGD, an approach is made to the concept of human dignity, which is of great cultural and social significance and moral relevance, particularly in the bioethical debate. Ideas are presented that deal with human dignity in the context of people’s lives. These are examined to determine whether they can serve as a basis for reasoning in the discussion about unborn life. Approaches that extend the concept of human dignity to all human beings, regardless of their characteristics and capabilities, prove to be helpful. On the one hand, these are concepts that emphasize the normative significance of the concept of human dignity and, on the other, those that focus on social relationships, whereby concepts such as responsibility, care and social obligation become more relevant. In the context of the moral status of embryos, three models are presented and examined with regard to their applicability. The person model ascribes human dignity to the early embryo and focuses primarily on the developing human being, but ignores the embryo's dependence on the mother and her right to autonomy, which is why this model seems difficult to implement. It does not correspond to the values of a pluralistic society and condemns the new technical possibilities in reproductive medicine. According to the object model, the embryo has neither human dignity nor is it worthy of protection, which contradicts social values and therefore this model is largely unacceptable. The progression model, which is expressed in legislation and is based on the intuitive, moral conviction that the embryo is increasingly worthy of protection, depending on its stage of development, proves to be useful, yet as a consequence the concept of human dignity is dispensed with. This model is best suited to the complex requirements and situations of living in a modern society, as decisions can be made depending on national law, the individual needs of the woman or parents, and the available technical possibilities. The embryo’s or foetus’ claim to protection is taken into account while respecting the autonomy of the woman or parents and their relationship to their offspring. As has been shown in this study, as a result of social developments personal autonomy and self-determination have become increasingly important in recent decades, which has led to the concept of “informed consent”, as implemented in medicine. The desire for autonomy, which is partly due to the technical possibilities offered by PND and PGD in particular, often gives rise to the desire for a healthy or unimpaired child. However, social pressure is assumed to be behind the supposedly autonomous decisions, which thwarts the right to self-determination. Based on this objection, further ethical challenges in connection with PGD are discussed. Selective procedures are feared to have an impact on the concept of humanity which could promote discrimination against people with disabilities and lead to a eugenic bias in medicine. In summary, it is concluded that the concept of human dignity did not change its meaning nor was it re-evaluated due to progress in reproductive medicine can. The case for human dignity has enormous ethical relevance, however, the bioethical discourse suffers from ambiguity and imprecise, sometimes contradictory use of the term. Furthermore, within the scope of this thesis it has become clear that applying the concept of human dignity to a foetus is not tenable since it would lead to enormous protective rights for even embryonic cells, which would have serious consequences for the current legal situation and the autonomy of the woman or parents. All this supports the idea of incremental protection of embryos or foetuses depending on their stage of development. It is striking that human dignity and autonomy, which are often mentioned in the same context in the philosophical tradition, are treated as competing values in the bioethical debate. The concept of human dignity is usually associated with the supposed rights of the embryo, while that of autonomy is used to highlight the rights of the woman or parents. In conclusion, it follows that the relationship between mother or parents and embryo or foetus and the resulting responsibility as well as a policy of information and education are of great importance in the context of PND and PGD in order to respect the interests of both sides and to be able to use the technical achievements in the field of reproductive medicine responsibly.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Deutsch)
Präimplantationsdiagnostik Autonomie in der Fortpflanzungsmedizin Embryo als Träger von Menschenwürde Status des Embryos
Autor*innen
Barbara Kräftner
Haupttitel (Deutsch)
Zwischen Menschenwürde und Autonomie
Hauptuntertitel (Deutsch)
ethische Herausforderungen der Präimplantationsdiagnostik
Paralleltitel (Englisch)
Between human dignity and autonomy
Paralleluntertitel (Englisch)
ethical challenges of preimplantation genetic diagnosis
Publikationsjahr
2024
Umfangsangabe
133 Seiten
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Martin Huth
Klassifikation
08 Philosophie > 08.38 Ethik
AC Nummer
AC17412493
Utheses ID
73750
Studienkennzahl
UA | 066 | 641 | |
