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Welche Gerechtigkeitsprobleme ergeben sich mit einer Impfpflicht?
Verena Kerschbaumer
Art der Arbeit
Masterarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Masterstudium Interdisziplinäre Ethik
Betreuer*in
Martin Huth
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.78071
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-23302.86637.235495-2
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Seit Jahrtausenden beschäftigen sich Philosophinnen und Philosophen mit der Frage, was gut und was gerecht ist, wobei es bis heute keine universell gültige Definition für den Begriff der Gerechtigkeit gibt. Es handelt sich um ein Fairness-Konzept, um in Form von Rechten und Pflichten die Gleichbehandlung der Menschen zu gewährleisten. Gerechtigkeit wird dabei u.a. als ein Gefühl beschrieben, etwas, wofür es sich lohnt, danach zu streben, wobei das Gefühl der Ungerechtigkeit häufiger wahrgenommen wird. Damit stellt Gerechtigkeit ein Bedürfnis nach einem verstärkten Sicherheitsgefühl in der Gemeinschaft dar. Aber auch Ideologien und Überzeugungen bestimmen, was Menschen als (un)gerecht empfinden. Fühlen sich die Menschen nicht gerecht behandelt, so führt dies zu Unruhen und Gruppierungen in der Bevölkerung, wie es auch bei der Einführung der Impfpflicht der Fall war. Die Public Health-Forschung, deren oberstes Ziel es ist, gerechte Bedingungen für die Gesundheit der Gesellschaft zu schaffen und sie vor Krankheit zu schützen, spielt auch im Impfkontext eine wichtige Rolle. Sie ist deshalb von zentraler Bedeutung, da es in den letzten 100 Jahren zu bahnbrechenden Erkenntnissen in der Medizin kam, welche nun immer mehr einer ethischen Überprüfung bedürfen, um den menschlichen Idealen treu zu bleiben. Solch ein Meilenstein ist die Impfung, welche heutzutage Infektionskrankheiten nicht nur heilen, sondern auch vorbeugen kann. Trotzdem sind Menschen eher dazu geneigt, sich impfen zu lassen, wenn sie bereits krank sind, als präventiv. Damit die Impfung jedoch präventiv wirken kann, müssen sich genügend Menschen impfen lassen, um eine Herdenimmunität zu erreichen. Auch Dawson spricht sich für die Wichtigkeit einer Herdenimmunität aus, da dadurch auch ungeimpfte Personen geschützt werden. Dabei sieht er sich an, welchen Schaden und welchen Nutzen die Impfung im jeweiligen Kontext mit sich bringt. Die Maximierung des langfristigen Nutzens spiegelt sich auch im „Schadensprinzip“ des Utilitarismus wider. Trotz dieser Errungenschaft macht sich teilweise auch Skepsis bei der Bevölkerung breit, gerade wenn es um die Impfpflicht geht. Dabei kommen auch gewisse Ungerechtigkeiten zum Vorschein. Beispielsweise können sich reiche Länder mehr Impfstoff leisten, sodass Entwicklungsländer, die ohnehin schon mit mangelnder medizinischer Versorgung zu kämpfen haben, noch länger auf die Impfung warten müssen. Dann stellt sich die Frage, wer überhaupt geimpft werden soll und wer zuerst. Die Frage, wer zuerst geimpft werden soll, hängt von der entsprechenden Impfwirkung der jeweiligen Personengruppe ab. So können zum Beispiel junge Menschen priorisiert werden. Im Fokus steht die Aufrechterhaltung unseres Gesundheitssystems, welches durch eine Infektionswelle gefährdet wird, indem es zu Ressourcenknappheit im medizinischen Bereich, zu Überbelagerung in Spitälern mit gleichzeitigem Personalmangel kommen kann, wodurch viele unschuldige Menschen betroffen wären. Um das Triage-Problem zu umgehen, braucht es eine Grundimmunisierung und eine Priorisierung der Risikogruppen. Giubilini und Savulescu machen deshalb darauf aufmerksam, dass es sinnvoll ist, Nutzen und Risiken sowohl hinsichtlich der Impfung als auch der Krankheit abzuwägen. Dabei verweist Savulescu auf die Analogie zwischen den Regeln im Straßenverkehr und der Impfpflicht. Sich im Auto präventiv anzuschnallen, um bei einem Unfall ein geringeres Verletzungsrisiko zu erleiden, ist genauso wichtig, wie sich vor einer Krankheit impfen zu lassen, um einen schweren Verlauf bestmöglich vorzubeugen. Beides sind Vorkehrungen, um die Menschen zu schützen. Weitere wichtige Vertreterinnen in diesem Kontext sind Madison Powers und Ruth Faden, deren Schwerpunkt auf der sozialen Gerechtigkeit liegt, wo sie das Wohlbefinden der Menschen in den Mittelpunkt stellen. Sie machen auf soziale Ungerechtigkeiten aufmerksam und entwickeln sechs Dimensionen, die für das Wohlbefinden entscheidend sind. Dazu zählen u.a. Gesundheit, Sicherheit, Selbstbestimmtheit und Respekt bzw. Achtung vor sich selbst und anderen. Anhand der vorliegenden Arbeit zeigt sich, dass sich eine Impfpflicht moralisch rechtfertigen lässt, wenn eine schwerwiegende Gefahr für unsere öffentliche Gesundheit (Public Health) besteht und das Vertrauen in die Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffes gegeben ist. Autonomie rückt hier zu Gunsten des Schutzes der Allgemeinheit in den Hintergrund. Außerdem muss der Nutzen der Impfung größer sein als der Nutzen möglicher Alternativen. Da hier von einer Impfpflicht die Rede ist, müssen auch die Sanktionen bei einer Nichteinhaltung in einem entsprechenden Verhältnis vorhanden sein. Dabei ist auch der Immunitätsnachweis ein viel umstrittenes Thema, da dieser Diskriminierungspotenzial beherbergt. Eine einheitliche Umsetzung der Impfpflicht und eine Einsicht in die Notwendigkeit solcher Maßnahmen wäre von Vorteil und wünschenswert.
Abstract
(Englisch)
For thousands of years, philosophers have been dealing with the question of what is good and what is fair but until today there is no universally valid definition of "the concept of justice." It is a concept of fairness to ensure equal treatment of people in the form of rights and obligations. Justice is described, among other things, as a feeling, something worth striving for, whereby the feeling of injustice is more often perceived. Justice thus represents a need for an increased sense of security in the community. But also ideologies and beliefs determine what people perceive as (un)just. If people do not feel that they are being treated fairly, this leads to unrest and groups in the population, as it was the case with the introduction of compulsory vaccination. Public health research, the primary goal of which is to create fair conditions for the health of society and to protect it from disease. Vaccination plays an integral role of importance in Public Health. It is therefore of central importance, as the last 100 years have seen groundbreaking discoveries in medicine, which now increasingly requires ethical reviews in order to remain true to human ideals. Such a milestone is vaccination, which today can not only cure but also prevent infectious diseases. Nevertheless, people are more likely to get vaccinated when they are already sick than preventively. However, in order for a vaccination to have a preventive effect, sufficient people must be vaccinated in order to achieve herd immunity. Dawson also advocates the importance of herd immunity, as it protects even unvaccinated persons. He looks at the harm and benefits of vaccination in the respective context. The maximization of long-term benefits is also reflected in the "harm principle" of utilitarianism. Despite this achievement, some scepticism is spreading among the population, especially when it comes to compulsory vaccination. It also reveals certain injustices. Rich countries, for example, can afford more vaccines, so developing countries, which already have to live with a lack of medical care, have to wait even longer for vaccines. This raises the question of who should be vaccinated at all and who should be vaccinated first. The question of who should be vaccinated first depends on the corresponding vaccination effect of the respective group of people. This allows young people, for example, to be prioritized. The focus is on the maintenance of our healthcare system, which is threatened by a wave of infections, which can lead to scarcity of resources in the medical field, to overcrowding in hospitals and at the same time a shortage of staff, which would affect many innocent people. To avoid the triage problem, a basic vaccination is needed and prioritization of risk groups. Giubilini and Savulescu draw attention to the need of not only thinking about the consequences of vaccination, but also think about the consequences of the disease. Savulescu points to the analogy between seat belt and compulsory vaccination. Both are precautions to protect people. Other important representatives in this context are Madison Powers and Ruth Faden, whose focus is on social justice, where they focus on people's well-being. They draw attention to social injustices and develop six dimensions that are crucial for well-being. These include, among other things, health, personal security, self-determination and respect for oneself and others. Based on this work, it is clear that mandatory vaccinations can be morally justified when there is a serious threat to public health and when there is confidence in the safety and effectiveness of the vaccine. Autonomy falls into the background in favour of the protection of the general public. In addition, the benefits of vaccination must be greater than the benefits of possible alternatives. Since we are talking about an obligation to vaccinate, the penalties for non-compliance must also be proportionate. Immunity passport is also a highly controversial issue, as it has the potential to discriminate. A uniform implementation of the vaccination obligation and an understanding of the need for such measures would be beneficial and desirable.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Deutsch)
Medizinethik Bioethik Impfung Soziale Gerechtigkeit Herdenimmunität COVID-19 Impfpflicht
Schlagwörter
(Englisch)
Medical ethics Bioethics Social justice Vaccination COVID-19
Autor*innen
Verena Kerschbaumer
Haupttitel (Deutsch)
Welche Gerechtigkeitsprobleme ergeben sich mit einer Impfpflicht?
Paralleltitel (Englisch)
What justice issues arise with compulsory vaccination?
Publikationsjahr
2024
Umfangsangabe
iv, 101 Seiten : Illustrationen
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Martin Huth
Klassifikation
08 Philosophie > 08.38 Ethik
AC Nummer
AC17480326
Utheses ID
73910
Studienkennzahl
UA | 066 | 641 | |
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