Detailansicht
Menschliches Erleben und Verhalten in einer Ambient Intelligence Welt
evolutionspsychologische Überlegungen
Lisa Loibl
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Psychologie
Betreuer*in
Thomas Slunecko
DOI
10.25365/thesis.8445
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-30102.36252.220954-1
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
In der vorliegenden Arbeit werden mit Hilfe evolutionspsychologischer Theorien Überlegungen zu möglichen Veränderungen im menschlichen Verhalten und Erleben formuliert, die infolge eines Lebens in einer Ambient Intelligence Welt auftreten könnten. Der Begriff der Ambient Intelligence steht für die technische Vision einer Welt, die im Vergleich zu unserer heutigen in weit höherem Maß von Computern ‚durchdrungen’ ist. Sie wurde in den frühen 1990er Jahren von Mark Weiser entwickelt und zeichnet das Bild einer ‚intelligenten’ Welt, in der wir von smarten, vernetzten Gegenständen und Systemen umgeben sind, die sich bemühen, uns möglichst unaufdringlich und unauffällig in unserem Alltag zu unterstützen. Mithilfe technischer Neuerungen sollen Features wir Kontextbewusstsein, Proaktivität (antizipierendes Handeln), natürliche Benutzerschnittstellen, mit denen verbal und in gestischer Form kommuniziert werden kann, sowie ‚intelligente’, vernetzte Geräte und Systeme verwirklicht werden. Der ursprüngliche, von Mark Weiser vorgestellte Name dieses ‚Weltentwurfs’ war Ubiquitous Computing; das Konzept durchlief jedoch seit Beginn der 1990er verschiedene Entwicklungen im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurses und der heute in Europa verwendete Begriff lautet Ambient Intelligence. Hinter ihm steht ein Verständnis der technischen Vision, das verstärkt auf die Bedürfnisse des Nutzers fokussiert; damit scheint Ambient Intelligence für das Vorhaben der vorliegenden Arbeit der geeignetere Begriff zu sein und wird daher als Leitbegriff verwendet.
Eine solchermaßen veränderte Welt legt tiefgreifende Veränderungen im menschlichen Erleben und Verhalten nahe. Für Überlegungen zu möglichen Formen solcher Veränderungen, wurde eine evolutionspsychologische Perspektive gewählt. Die Evolutionspsychologie ist ein wissenschaftliches Paradigma, das versucht, menschliches Erleben und Verhalten durch Rückbezug auf die evolutionäre Vergangenheit des Menschen zu verstehen. Zentrale Konzepte der Evolutionspsychologie sind u.a.: Die Annahme der Existenz psychologischer Adaptationen, die Modularität des menschlichen Geistes, die Annahme einer Umwelt der evolutionären Adaptation, die eine kritische Rolle in der Formung unserer psychologischen Adaptationen gespielt hat, adaptive Hintergründe zu reziprokem Altruismus und die Spuren, die die Kräfte der sexuellen Selektion in der menschlichen Psyche hinterlassen haben.
Das evolutionspsychologische Paradigma bietet aufgrund seines Bezugs auf die Grundgegebenheiten der menschlichen Psyche einen verhältnismäßig stabilen Boden für Überlegungen zu Veränderungen in Erleben und Verhalten. Zudem ist ein detailliertes Bild einer Ambient Intelligence Welt, das ihre unterschiedlichen Bedeutungen für verschiedene Gruppen einfangen könnte, derzeit noch nicht möglich; daher erscheint ein Paradigma, das auf die kulturübergreifenden Gemeinsamkeiten in Menschen fokussiert, geeignet. Schlussendlich findet sich in der Evolutionspsychologie aufgrund ihrer Funktion als Metatheorie ein besonders reicher Boden für Hypothesengenerierung und Theoriebildung.
Für die Auseinandersetzung mit möglichen Implikationen eines Lebens in einer Ambient Intelligence Welt wurden drei psychologische Phänomengruppen ausgewählt: 1. Privatsphäre und Territorialität, 2. Anthropomorphismus, sowie 3. adaptive Wahrnehmungs- bzw. Erinnerungsverzerrungen in Form von Selbsttäuschung, Biases, rekonstruktivem Erinnern und aktivem Vergessen. Zu jeder der drei Gruppen wurden evolutionäre Hintergründe besprochen, relevante Aspekte von Ambient Intelligence herausgearbeitet, sowie in der gemeinsamen Betrachtung Überlegungen zu möglichen Veränderungen im menschlichen Erleben und Verhalten angestellt. So lässt sich hinsichtlich Privatsphäre und Territorialität vermuten, dass insbesondere Veränderungen in der Kontrollwahrnehmung und den Bereichen, in denen Kontrolle ausgeübt werden kann, auf verschiedensten Ebenen Auswirkungen haben könnten. Dies könnte u.a. die psychische Entwicklung des Individuums, soziale Interaktionsprozesse und die wahrgenommene Umweltkompetenz betreffen und zu neuen Ausdrucksformen von Territorialität führen. Die Überlegungen zu Veränderungen aufgrund unserer Anthropomorphisierungstendenz fokussieren auf soziale Bindungen: So werden unter anderem potentiell veränderte Selbst- und Fremd-Ratings hinsichtlich des partnerschaftlichen ‚Marktwerts’ und des allgemeinen Status’ aufgrund unserer neuen, ‚intelligenten’ elektronischen Begleiter besprochen. Im Rahmen der Gedanken zu menschlichen Wahrnehmungs- und Erinnerungsverzerrungen in einer Ambient Intelligence Welt werden mögliche Konsequenzen aus veränderten Bedingungen für Täuschung in Interaktionsprozessen, innere Kohärenz, unsere Selbstwahrnehmung, sowie psychische Entwicklungsprozesse thematisiert.
Natürlich blendet ein evolutionspsychologischer Blickwinkel, wie jedes andere Paradigma, vieles aus und kann daher nur einen stark beschränkten Eindruck vermitteln; für ein vollständigeres Bild ist eine Ergänzung aus anderen Ansätzen notwendig. Aus diesem Grund sind die ‚Ergebnisse’ dieser Arbeit vor allem als Fragmente mit Anregungscharakter zu verstehen, die Anknüpfungspunkte für weitere Überlegungen und Folgearbeiten bieten sollen.
Abstract
(Englisch)
In this manuscript evolutionary psychology theory is used to reflect on possible changes in human behaviour and experience due to living in a world of ambient intelligence. The term ambient intelligence stands for a technological vision of a world in which computers are much more pervasive than they are today. This vision was developed by Mark Weiser during the early 1990’s and shows a world in which we are surrounded by intelligent connected devices and systems that aim to support us discretely and inconspicuously in our everyday life. New technological developments could introduce features such as context awareness, proactivity (anticipating actions), natural interfaces, as well as ‚intelligent’, connected devices and systems. The original term for Weiser’s vision was ubiquitous computing; but the concept went through various developments throughout the scientific discourse surrounding it since the start of the 1990’s. The term now used in Europe is ambient intelligence, a phrase predicated on a more user-oriented understanding of Weiser’s vision. Therefore it is the principal phrase used in this manuscript.
A world of ambient intelligence suggests profound changes in human experience and behaviour. An evolutionary psychology perspective was chosen to reflect on the possible shapes such changes could take. Evolutionary psychology is a scientific paradigm that aims to understand human experience and behaviour in the light of our evolutionary past. Central concepts in evolutionary psychology include: The assumption of the existence of psychological adaptations, the modularity of the human mind, the assumption that an environment of evolutionary adaptation played a critical role in the shaping of our psychological adaptations, adaptive explanations for reciprocal altruism, and the traces which the powers of sexual selection have left in the human mind.
Being built on the evolutionary foundations of human psychology, the evolutionary psychology paradigm provides a comparatively stable ground for reflecting on changes in experience and behavior. Furthermore it is not yet possible to draft a detailed picture of an ambient intelligence world which would allow a differentiated view of particular groups; as such a paradigm that focuses on human universals seems suited to the task at hand. Finally evolutionary psychology provides, because of its function as a meta theory, a particularly rich ground for the generation of theory and hypotheses.
For a closer look at possible implications of living in the world of ambient intelligence three goups of psychological phenomena were chosen: 1. privacy and territoriality, 2. anthropomorphism, and 3. adaptively distorted perception and memory in the forms of self-deception, biases, reconstructive memory and active forgetting. For each of these groups the evolutionary background of the phenomena was discussed, pertinent aspects of ambient intelligence were elaborated, and reflections on possible changes in human experience and behavior were derived. Concerning privacy and territoriality it can be surmised that changes in perception of the nature and range of human control might, along with other factors, will have effects on various levels. This could influence psychological development of individuals, processes of social interaction, and the perceived ability to control events in our environment, and could lead to new expressions of territorial behaviour. The reflections on changes associated with our tendency to antropomorphize are focused on social relations; among other things discussed are potentially altered ratings of the sexual market value and general social status of the self and of others due to our new, ‚intelligent’ electronic companions. The reflections on distorted human perception and memory in an ambient intelligence world touch upon possible consequences of changed conditions for deception in interaction processes, internal coherency, our self-perception, and processes in psychological development.
Of course evolutionary psychology, as every other paradigm, omits many elements and consequently can provide only a limited impression; to gain a more complete picture it is necessary to complement this with other approaches. For this reason the ‚results’ of this thesis should primarily be understood as thought-provoking fragments that offer a starting point for further ideas and follow-up work.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Englisch)
evolutionary psychology ambient intelligence ubiquitous computing psychological implications technological developments future
Schlagwörter
(Deutsch)
Evolutionspsychologie Ambient Intelligence Ubiquitous Computing psychische Implikationen technische Entwicklungen Zukunft
Autor*innen
Lisa Loibl
Haupttitel (Deutsch)
Menschliches Erleben und Verhalten in einer Ambient Intelligence Welt
Hauptuntertitel (Deutsch)
evolutionspsychologische Überlegungen
Paralleltitel (Englisch)
Human experience and behavior in an ambient intelligence world ; an evolutionary psychology perspective
Publikationsjahr
2010
Umfangsangabe
195 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Thomas Slunecko
Klassifikationen
02 Wissenschaft und Kultur allgemein > 02.40 Futurologie ,
50 Technik allgemein > 50.14 Technik in Beziehung zu anderen Gebieten ,
54 Informatik > 54.72 Künstliche Intelligenz ,
77 Psychologie > 77.00 Psychologie: Allgemeines ,
77 Psychologie > 77.45 Motivationspsychologie ,
77 Psychologie > 77.63 Soziale Interaktion, Soziale Beziehungen
AC Nummer
AC08022024
Utheses ID
7611
Studienkennzahl
UA | 298 | | |