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Imaginierte Wissenschaft
Wissenschafts- und Wissenschaftler/innen-Bilder als Verhandlungsobjekte in der Interaktion zwischen Genomforscherinnen/Genomforschern und Bürgerinnen/Bürgern
Annina Müller Strassnig
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Sozialwissenschaften
Betreuer*in
Ulrike Felt
DOI
10.25365/thesis.8562
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29459.55550.130360-4
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Hintergrund und Kontext:
In der jüngeren Vergangenheit haben sich die Debatten darüber, in welchem Verhältnis Wissenschaft zur Gesellschaft stehen soll und umgekehrt Gesellschaft zur Wissenschaft intensiviert. Sinkendes öffentliches Vertrauen in wissenschaftliche Forschung und neue Technologien und der Autoritätsverlust wissenschaftlicher Expertise werden von Seiten der Politik beklagt. Skandale, wie Betrugsfälle oder auch Diskussionen um die ethische Verantwortbarkeit einzelner Forschungsbereiche, aber auch als krisenhaft wahrgenommene Ereignisse, wie die Konflikte um genetisch modifizierte Organismen, tragen ebenfalls zu dieser Diagnose eines öffentlichen Misstrauens in die Wissenschaft bei.
Ein Versuch der Problemlösung auf europäischer wie auch auf nationalstaatlicher Ebene, war und ist die Forderung nach mehr Wissenschaftskommunikation, um das fehlende Vertrauen, wiederherzustellen. Lange Zeit war Wissenschaftskommunikation darauf ausgerichtet einen Wissenstransfer von der Wissenschaft hin zur Öffentlichkeit zu organisieren, da, so die Annahme, die Behebung des Wissensdefizits die Akzeptanz von Wissenschaft verbessern könne. Eine Vielzahl an qualitativen Studien der Wissenschaftsforschung hat aber aufgezeigt, dass ein solch einfacher Kausalzusammenhang zwischen Wissen und Vertrauen problematisch ist. Die Beziehung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und insbesondere die Herstellung und Etablierung von öffentlichem Vertrauen hängt diesen Forschungen zufolge nicht alleine mit einer quantitativ messbaren Informiertheit der Bevölkerung über die wissenschaftliche Fakten zusammen, sondern korreliert vielmehr mit einer Vielzahl an qualitativen Faktoren, die insgesamt ein sehr komplexes Bild der Beziehung von Wissenschaft und Gesellschaft zeichnen.
Ziele:
Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Bedeutung der Vorstellungen von Wissenschaft und Wissenschaftler/in-Sein innerhalb einer face-to-face Interaktion zwischen Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftlern und Bürgerinnen/Bürgern zu analysieren. Dabei geht es nicht darum ein „reales“ Bild von Wissenschaft zu identifizieren, sondern vielmehr zu verstehen, wie unterschiedliche Bilder von Wissenschaft und Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftlern als Verhandlungsobjekte in der Kommunikation mobilisiert und modifiziert werden.
Ausgehend davon wurden drei Forschungsinteressen formuliert: Mit der Identifikation der Bilder von Wissenschaft und vom Wissenschaftler/in-Sein, die an den Runden Tischen mobilisiert, (re)produziert und verhandelt wurden, soll ergründet werden, ob in einem längerfristigen Setting andere Bilder entstehen können, als dies in punktuellen einmaligen Interaktionen der Fall ist. In einem zweiten Schritt soll betrachtet werden ob, und wenn ja, wie eine Vertrauensbeziehung zwischen Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftlern und Bürgerinnen/Bürgern an den Runden Tischen etabliert werden konnte, und wie die identifizierten Bilder von Wissenschaft und Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftlern diesen Prozess geprägt und ermöglicht haben. Ausgehend von diesen Analysen wird abschließend gefragt, was daraus für die Gestaltung von zukünftigen Wissenschaftskommunikationsaktivitäten gelernt werden kann.
Methoden:
Die Dissertation basiert auf dem Forschungsprojekt Reden wir über Gold!, in dem ein partizipatives Setting ausprobiert wurde, welches einen langfristigen Dialog zwischen Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftlern und Bürgerinnen/Bürgern, die sog. Runde Tische, beinhalteten. Wissenschaftler/innen eines Genom-Forschungsprojektes und Bürger/innen haben sich über den Zeitraum von acht Monaten getroffen und gemeinsam über ethische und soziale Auswirkungen von Genomforschung und damit verbundenen Fragestellungen auseinandergesetzt. Mit dem Projekt wurde ein Setting entwickelt, welches weitgehend offen und frei von vordefinierten Rollen und Ergebnissen war, um einen offenen Diskussionsraumes zu schaffen.
Die Analyse wurde mittels qualitativer sozialwissenschaftlicher Methoden (Grounded Theory) vorgenommen.
Resultate:
Die vorliegende Untersuchung der Vorstellungen der Wissenschaftler/innen und Bürger/innen von Wissenschaft hinterlässt den Eindruck einer sehr fragmentierten und inkohärent wirkenden Summe von kleineren Erzählungen über Wissenschaft. In der Zusammenschau dieser Fragmente werden aber zwei Modelle, wie Wissenschaft betrachtet werden kann, sichtbar. Hierbei handelt es sich zum einen um eine idealtypische Erzählung einer von der Gesellschaft völlig losgelösten und von gesellschaftlichen Werten unberührten Wissenschaft. Die andere Erzählung, quasi ihr Gegenstück, fokussiert auf die unauflösbare Verflechtung von Wissenschaft und Gesellschaft. Es handelt sich bei den beiden Modellen um Idealtypen, die bildlich gesprochen als Pole eines Kräftefelds verstanden werden können, auf dem sich die kleineren Erzählfragmente positionieren lassen. Die Teilnehmer/innen sich haben in den Diskussionen dieser Fragmente bedient und daraus kontextuell verortete Wissenschaftsmodelle konstruiert.
In der Analyse der Wissenschaftler/innen-Bilder konnten neben den klassischen Bildern des/der „guten“ und des/der „bösen“ Wissenschaftlers/Wissenschaftlerin fünf ambivalente Wissenschaftler/innen-Figuren identifiziert werden. Die klassischen Wissenschaftler/innen-Bilder, die bis weit in das 20. Jahrhundert hinein sehr dominant waren, sind zwar in den Runden Tisch Diskussionen vorgekommen, sie wurden aber durch mehrdeutige Figuren ergänzt bzw. ersetzt. Wenn Wissenschaftler/innen heute bestehen wollen, müssen sie vielfältige und z.T. widersprüchliche Anforderungen erfüllen. Diese neueren Figuren sind durch Widersprüchlichkeiten geprägt, die die Komplexität der Rahmenbedingungen und der Herausforderungen an Wissenschaftler/innen heute charakterisieren.
Schlussfolgerungen:
Die empirische Analyse hat aufgezeigt, dass in den Diskussionsrunden zwischen Bürgerinnen/Bürgern und Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftlern ein breites Spektrum von Wissenschaftsbildern (re)produziert und mobilisiert, wodurch ein feinkörniges Bild von Wissenschaft entstehen konnte. Wissenschaft wurde für die Bürger/innen als etwas Heterogenes wahrnehmbar. Diese Heterogenität an Bildern ist nicht nur deshalb wünschenswert, weil sie die Vielschichtigkeit von Wissenschaft darstellen sondern auch, weil dadurch eine breitere Möglichkeit zur Identifikation mit Wissenschaft angeboten wird.
Was die Langzeitinteraktion der Runden Tische gezeigt hat, ist, dass ein vielschichtigeres Bild von Wissenschaft zwar nicht zu einem generellen Vertrauen in Wissenschaft führt, aber dass eine solide Basis für eine Vertrauensbeziehung geschaffen werden kann. Dem Folgend muss verstanden werden, dass Vertrauen nichts stabiles ist, welches einmal erworben dauerhaft bestehen bleibt. Vielmehr muss an einer Vertrauensbeziehung und an Wertschätzung kontinuierlich gearbeitet werden.
Es wird deshalb kaum reichen, simple Richtlinien für die Wissenschaftskommunikation zu entwerfen. Vielmehr sollte eine Unterstützung der Komplexität heutiger Wissenschaft gerecht werden und auf die sehr unterschiedlichen Kontexte dieser eingehen. Es sollte demzufolge nicht mehr darum gehen Wissenschaft zu kommunizieren, sondern um eine wechselseitige Auseinandersetzung mit Wissenschaft in der Gesellschaft.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Englisch)
science and technology studies science communication images of science images of scientists public participation ELSA research
Schlagwörter
(Deutsch)
Wissenschaftsforschung Wissenschaftskommunikation Wissenschaftsbilder WissenschaftlerInnenbilder öffentliche Partizipation ELSA-Forschung
Autor*innen
Annina Müller Strassnig
Haupttitel (Deutsch)
Imaginierte Wissenschaft
Hauptuntertitel (Deutsch)
Wissenschafts- und Wissenschaftler/innen-Bilder als Verhandlungsobjekte in der Interaktion zwischen Genomforscherinnen/Genomforschern und Bürgerinnen/Bürgern
Paralleltitel (Englisch)
Imagined science ; images of science and scientists as objects of negotiation in the interaction between scientists and citizens
Publikationsjahr
2009
Umfangsangabe
216 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Ulrike Felt ,
Eva Flicker
Klassifikationen
02 Wissenschaft und Kultur allgemein > 02.10 Wissenschaft und Gesellschaft ,
02 Wissenschaft und Kultur allgemein > 02.13 Wissenschaftspraxis ,
02 Wissenschaft und Kultur allgemein > 02.14 Organisation von Wissenschaft und Kultur ,
02 Wissenschaft und Kultur allgemein > 02.15 Wissenschaftspolitik, Kulturpolitik ,
70 Sozialwissenschaften allgemein > 70.03 Methoden, Techniken und Organisation der sozialwissenschaftlichen Forschung
AC Nummer
AC07806020
Utheses ID
7720
Studienkennzahl
UA | 092 | 122 | |