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Die Entwicklung der Mafia
Reinhold Michetschläger
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Sozialwissenschaften
Betreuer*in
Johann Wimmer
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.10020
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29896.58202.576866-3
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Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Die Diplomarbeit setzt sich mit der Forschungsfrage auseinander, wie die Organisierte Kriminalität in bzw. aus Süditalien, die gemeinhin als „mafia“ tituliert wird, seit ihrer Entstehung vor 150 Jahren bis heute funktioniert(e), ob es in ihren Strukturen, Interessen und Praktiken Veränderungen gab oder nicht und durch welche Faktoren eventuelle Neuorientierungen zustande kamen. Dazu werden zu Beginn die zentralen Begriffe „Organisierte Kriminalität“, „mafia“, „camorra“, „'ndrangheta“ und „omertà“ definiert. Auch auf die Selbstbezeichnungen innerhalb der Organisierten Kriminalität, wie „uomini d'onore“, „cosa nostra“ oder „famiglia“, und die damit intendierte Verharmlosung des Phänomens wird eingegangen. Im Weiteren widmet sich die Diplomarbeit politikwissenschaftlichen Paradigmen wie der Systemtheorie von Niklas Luhmann, dem Begriff des modernen Staates bei Max Weber und den Kategorien Macht und Gewalt bei Hannah Arendt, da diese notwendig sind, um das Phänomen Organisierte Kriminalität in Süditalien in einen politikwissenschaftlichen Kontext setzen zu können. Im Zweiten Teil wird auf die historischen Entstehungsbedingungen der Organisierten Kriminalität in Süditalien eingegangen. Die Epoche der italienischen Nationalstaatsbildung wird in politischer, wirtschaftlicher sowie kultureller Hinsicht analysiert, wobei auf die politische Instabilität, den sich ausbreitenden Kapitalismus, die Rolle der Religion, soziale Bewegungen und die soziale Bedeutung der „Ehre“ im Besonderen eingegangen wird. Davon ausgehend untersucht die Diplomarbeit zuerst die Interessen und Praktiken der Organisierten Kriminalität in den Regionen Sizilien, Kampanien und Kalabrien während der Periode der monarchistischen Staatsform in Italien. Dabei können sowohl der Typus eines „traditionellen Mafioso“ in all diesen Gebieten, als auch typische, weil integrale, Interessen und Vorgehensweisen der regional divergierenden Formen der Organisierten Kriminalität in Süditalien rekonstruiert werden. Alle Formen der „traditionellen Organisierten Kriminalität“ konstituieren sich durch meist ökonomisch, oft aber auch (indirekt) politisch motivierte Gewaltanwendung, ihre sich auf Grund eines schwachen staatlichen Gewaltmonopols rasch entwickelnde soziale Vermittlungsfunktion und ein korruptes gesellschaftliches Umfeld. In der Nachkriegszeit begann die sozial gefestigte Stellung der „uomini d'onore“ auf Grund eines breiten gesamtgesellschaftlichen Wertewandels und wirtschaftlicher wie politischer Veränderungen zu bröckeln und die prestigeträchtigen „traditionellen Mafiosi“ wandelten sich in der gesellschaftlichen Wahrnehmung aber auch in der Realität entweder zu geächteten und wenig einflussreichen Devianten oder wurden in die herrschende (auch ökonomische) Elite der einflussreichsten politischen Partei, der „Democrazia Christiana“, gedrängt. Aber auch durch öffentliche Intervention gelang es der italienischen Politik in dieser historischen Phase erstmals, den Süden politisch und wirtschaftlich in den Nationalstaat erfolgreich zu integrieren und damit der Organisierten Kriminalität entgegenzutreten. In den 1970er-Jahren beschloss man allerdings, die Ressourcen für den Süden zentralisierter und zweckmäßiger einzusetzen, was zu erheblichen Spannungen führte und eine starke Desintegration der südlichen Regionen, die man längst für überwunden hielt, hervorbrachte. Den geschwächten „uomini d'onore“ gelang es in dieser Epoche, durch eine einzigartige Kombination zeitgemäßer, kapitalistischer Werthaltungen und archaischen, brutalen Vorgehens aus ihrer traditionellen Phase ihre einstige Vormachtstellung nicht nur wieder zu erlangen, sondern diese sogar auf internationale Geschäfte und davor unerreichte Intensität auszudehnen. Durch die „Bekehrung der Mafiosi zur Religion der Akkumulation“ und ihre Praktiken, Reichtum und die damit verbundene Einflussnahme mit brutalsten Mitteln zu erlangen, gelang es der Organisierten Kriminalität, große legale und illegale Marktanteile und ganze Gebiete vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen und lokal teilweise sogar alternative ökonomische Systeme zu errichten. Nach der historischen Analyse behandelt die Diplomarbeit verschiedene herausragende theoretische Ansätze zur Erforschung der Organisierten Kriminalität in Süditalien, wie beispielsweise das Konzept der Organisierten Kriminalität als Mentalität, oder als „enterprise syndicate“ und geht dabei besonders auf Schwachstellen der oft zu sehr auf einen Aspekt fokussierenden Theorien ein. Abschließend zeigt die Diplomarbeit, dass die derzeitige, sehr komplexe und teilweise international orientierte Form der „unternehmerischen Organisierten Kriminalität“ bzw. des „mafiosen Kapitalismus“, der wie durch historische Nachforschungen ersichtlich wird kapitalistische Interessen, moderne Technologien und Expertentum mit brutalen Praktiken kombiniert, durch fast keine gängige Theorie komplett fassbar ist, da oft die wirtschaftlichen Faktoren bei älteren Ansätzen oder der Aspekt der Gewaltanwendung bzw. -androhung bei neueren Analysen außen vorgelassen werden. Das betont die Notwendigkeit einer aktuellen und umfassenden, international ausgerichteten theoretischen Analyse des Phänomens, ohne die darauf basierende politische oder rechtliche Gegenmaßnahmen heute wirkungslos bleiben müssen. Denn trotz aller Veränderungen der Interessen und Praktiken der süditalienischen Organisierten Kriminalität in den letzten 150 Jahren, blieb die Gewalt bis heute ihre zentralste Ressource, mit deren brutalem Einsatz bzw. nur durch ihre Androhung wirtschaftliche, gesellschaftliche und teilweise auch politische Einflussnahme – früher in Form von Ehre als zentraler sozialer Ressource, heute in Form von Kapital - angestrebt wurde und wird. Auch Europol als bisher eindeutig effektivste Möglichkeit der internationalen Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in Europa, bisherige Erfolge dieser relativ jungen Institution und die für diese Erfolge notwendigen strukturellen und praktischen Voraussetzungen in der Justiz, der Exekutive und nationalstaatlicher sowie gemeinschaftlicher Politik werden aufgezeigt, da Europol einen Weg vorzuzeichnen scheint, ohne den der Kampf gegen die moderne, unternehmerische Organisierte Kriminalität nicht zu gewinnen scheint.
Abstract
(Englisch)
The thesis intends to explore how organised crime in (and from) Southern Italy, commonly known as mafia, has operated from its conception about 150 years ago until now. The research will also examine the fundamental changes in the interests, mechanisms and structures of organised crime in Southern Italy and the causes of these changes. To answer these questions, the first chapter defines important terms like organised crime, mafia, camorra, 'ndrangheta and omertà. This chapter also explains some of the names which organised crime groups use to trivialise themselves, (like “cosa nostra” or “famiglia”). The chapter will also discuss some fundamental paradigms in political science, like Niklas Luhmann's system theory, Max Weber's definition of modern states, and the categories “power” and “violence,” as Hannah Arendt defined, which will offer a theoretical framework with which to analyse the phenomenon of organised crime. The second chapter is dedicated to the social conditions during the time of the Italian risorgimento, the birth of the national state of Italy. This period is analysed in respect to culture, politics and economy, emphasising on the role of the political instability during that time, the spread of capitalism, the role of religion, social movements and “honour” as a social resource. The interests and actions of organised crime in the regions Calabria, Sicily and Campania during the monarchistic period of Italy's history are topics of the third chapter in order to reconstruct the type of a “traditional mafioso” and also vital structures and interests of organised crime in its various forms in the mentioned regions. All forms of Southern Italian organised crime are determined by the use of violence because of mostly economical and partly political reasons. Also the function of organised crime as a kind of social mediation between different groups or individuals grew quickly because of the state's missing monopoly on physical violence. A corrupt framework often was the third characteristic to organised crime. During the period after World War II the uomini d'onore's social status decreased because of fundamental social changes in people’s values and political changes. The traditional mafiosis' role changed from being respected men to deviant gangsters, or they became members of the political and economical elite of the Democrazia Christiana, the most important political party during that period. But also political interventions allowed the government in Rome to integrate the South politically and economically into the nation state and confront organised crime. But in the 1970s it was decided to centralise resources that were dedicated to the southern regions and to use them more efficiently, which caused severe tensions and divided the South again. In this period, the uomini d'onore were able to not only regain their social status--combining modern, contemporary values of capitalistic enterprise with brutal mechanisms from their archaic period--but they were also able to extend their power on international and much more intense levels. Inspired by “the mafiosis' conversion to the religion of accumulation” and their will to gain financial resources and social power, organised crime groups used violence to control entire markets of legal and illegal goods and entire regions, sometimes even building up an alternative economic system. After these historical analyses the thesis mentions various theories on the topic of organised crime, like the theory of the enterprise syndicate, or the approach to define organised crime as “mentality.” Also the weaknesses of these theories, which often focus too much on only one specific aspect, are discussed in the fourth chapter. As a conclusion the thesis postulates that the contemporary forms of entrepreneurial organised crime or mafia capitalism (which combine capitalistic interests, modern technology and expert's know-how with brutality) cannot be described sufficiently by most theoretical approaches to the topic. The reason is that in older approaches, the economical aspects are not valued and in contemporary theories, the importance of the use of violence often goes unnoticed. This clearly shows the necessity of a contemporary, international, all-embracing theory on organised crime, because without it, political and legal confronts are senseless, having in mind, that violence has been the central resource of organised crime during 150 years of changing interests: in former periods the uomini d'onore strove for honour, nowadays they fight for financial and political resources. Also the most efficient force to combat organised crime internationally in Europe, Europol, its successes, and the political and legal frameworks for these successes are mentioned and analysed. Europol has displayed that it has a plan and the tools to fight organised crime internationally. Without the aid of Europol, the fight against organised crime would most certainly seem unbeatable.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
mafia organized crime Italy
Schlagwörter
(Deutsch)
Mafia Camorra 'Ndrangheta Italien Organisierte Kriminalität historische Entwicklung mafioser Kapitalismus Europol
Autor*innen
Reinhold Michetschläger
Haupttitel (Deutsch)
Die Entwicklung der Mafia
Publikationsjahr
2010
Umfangsangabe
130 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Johann Wimmer
Klassifikation
89 Politologie > 89.41 Staat und einzelne Gruppierungen
AC Nummer
AC08161444
Utheses ID
9044
Studienkennzahl
UA | 300 | | |
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