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Katharsis oder Katalysator?
wie der österreichische Weinbau aus der Krise kam und welche Rolle der Weinskandal 1985 dabei spielte
Philippe Crapouse
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Erich Landsteiner
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.10156
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29347.72618.110764-4
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist eine wirtschaftshistorische Betrachtung des österreichischen Weinbaus seit 1945 unter besonderer Berücksichtigung des Weinskandals 1985. Dabei wird die weit verbreitete Ansicht, dass erst dieses Ereignis den österreichischen Weinbau von der Krise auf den Erfolgsweg gebracht hat, einer kritischen Überprüfung unterzogen. Ein Exkurs in das 19. und frühe 20. Jahrhundert skizziert das Erwachen aus einer langen wissenschaftlich-technischen Stagnation und die Anfänge einer Weinwirtschaftspolitik, die erste Weingesetzgebung und staatliche Eingriffe in das Marktgeschehen. Die Konkurrenz durch Bier, steigende Produktionskosten, Preisdruck durch den Weinhandel und nicht zuletzt die Reblaus hatten den Weinbau bereits im 19. Jahrhundert in eine Krise gestürzt. Die Zwischenkriegszeit war von Nachfrageeinbrüchen und wachsendem staatlichen Interventionismus in Form von Flächenbeschränkungen, Preisuntergrenzen und Förderung der Qualität geprägt. Strukturelle Defizite, Produktivitäts- und Wirtschaftlichkeitsprobleme sowie wachsende Konkurrenz anderer Länder prägten auch nach 1945 das Bild. Die Umstellung auf Lenz Moser Hochkultur, die große Rationalisierungsmaßnahmen ermöglichte, verbesserte die Wirtschaftlichkeit des Weinbaus angesichts immer häufigerer Preiskrisen kaum. Die hohe Importabhängigkeit führte zu Maßnahmen mit dem Ziel der besseren Eigenversorgung. Der nicht nur von der Weinwirtschaft erwünschte, sondern auch bald vonseiten der Weinbaupolitik intendierte Zuwachs der Weingartenfläche geriet allerdings bald außer Kontrolle. Zwischen 1960 und 1980 wuchs diese um zwei Drittel auf rund 60.000 Hektar, während auch die Flächenproduktivität stark anstieg. Dies führte zu einer rasanten Produktionssteigerung und in weiterer Folge zur Umkehr des Verhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage, Preisverfall und Existenzsorgen. Das Weingesetz von 1961, das die Weinproduktion qualitativ und quantitativ lenken sollte, änderte an der vom Markt verlangten Hinwendung zur Quantität wenig. Die Situation stellte sich aus österreichischer Sicht besonders ungünstig dar: Im Massenkonsumweinsegment war man nicht konkurrenzfähig, gleichzeitig war der Markt für Qualitätsweine noch sehr schwach entwickelt. Dem 1970 gegründeten und aus Bundesmitteln finanzierten Weinwirtschaftsfonds gelang es trotz Stabilisierungsmaßnahmen und dem Aufbau des Exportgeschäfts letztendlich kaum, die Überschusskrisen ausreichend zu entschärfen. Der Weinskandal im Jahr 1985, im Zuge dessen Weinmanipulationen und Dokumentenfälschungen riesigen Ausmaßes bekannt wurden, kann nicht losgelöst von den Krisen der 1970er und frühen 1980er Jahre gesehen werden. Überschusswein minderer Qualität war mit unlauteren Mitteln zu hochwertigem Prädikatswein veredelt, und mit falschen Dokumenten zu Schleuderpreisen vorwiegend nach Deutschland exportiert worden. Dabei hatte man auch eine Gesundheitsgefährdung der Konsumenten in Kauf genommen. Ein schwerer Reputationsverlust und völliger Einbruch des mühselig aufgebauten Exportgeschäfts waren die Folge. Der Skandal rückte auch große Mängel in der Vermarktung, der Weinaufsicht, sowie Korruption, Vertuschung und die Involvierung von ÖVP- und SPÖ-Funktionären in den Vordergrund. Ab 1985 wurden Reformen eingeleitet, um den österreichischen Weinbau aus der Krise zu führen. Ein neues Weingesetz mit Höchstertragsgrenzen und die Einführung einer staatlichen Prüfnummer wurden beschlossen, die Weingartenfläche reduziert und neue Qualitätsmaßnahmen gesetzt. Die Produktion konnte reduziert und das Angebot besser der Nachfrage angeglichen werden. Mit der Gründung der Österreichischen Weinmarketing Service GmbH. wurde der Weinwirtschaft auch eine professionelle Vermarktungsorganisation zur Seite gestellt, welche durch Imagearbeit und ab dem Jahr 2003 mit Herkunftsmarketing statt Rebsortenmarketing den österreichischen Wein auf Erfolgskurs bringen konnte. Die vorliegende Arbeit zeigt, dass der Weinskandal allerdings keine Zäsur für den österreichischen Weinbau darstellt, sondern bei historischer Betrachtung klare Kontinuitäten zu Tage treten. Die Qualitätsstrategie lässt sich zumindest bis in die 1920er Jahre zurückverfolgen und wurde konsequent fortgesetzt. Maßgeblich für den Erfolgskurs seit den 1990er Jahren waren Veränderungen in der Nachfrage, die der nach wie vor strukturschwachen österreichischen Weinwirtschaft besser entgegenkamen als die Marktgegebenheiten vor mehr als dreißig Jahren. Ansätze zu veränderten Konsumgewohnheiten waren bereits in den 1970er Jahren erkennbar. Nicht zu unterschätzen ist auch die vollwertige Einbindung Österreichs in den europäischen Wirtschaftsraum, die heute einen Außenhandel unter günstigeren Wettbewerbsbedingungen ermöglicht. Wenn auch der Weinskandal als Katalysator für Reformen wirkte, so ist die Entwicklung der österreichischen Weinwirtschaft bis heute unbedingt im Rahmen eines größeren zeitlichen Horizonts zu sehen. Die Grundlagen für den heutigen Erfolg der österreichischen Weine gehen auf eine Zeit zurück, die weit vor dem Weinskandal liegt.
Abstract
(Englisch)
The present thesis deals with the evolution of the Austrian wine growing industry since 1945, seen from an economical-historical point of view and taking into special consideration the consequences of the 1985 dyethylene glycol wine scandal. The widespread asumption that this incident has driven the Austrian viticulture to a significant change of direction in a positive sense has been put to the test. A brief outlook into the 19th and the early 20th century describes the industry's awakening from a century-long stagnation in both scientific and technological terms as well as the onset of a policy and legislation leading to growing market interference by the state agencies. Already in the 19th century viticulture fell on hard times due to the growing competition of the beer industry, the rural exodus, increasing production costs, price pressure exercised by wine dealers, and the consequences of the phylloxera invasion. The period between World War I and World War II was characterized by significant drops in demand and increasing state intervention, which limited the cultivation area, fixed minimum prices and improved quality. The wine industry in post war Austria was still troubled by structural deficits, low productivity and rentability as well as growing competition from other countries. In consideration of the falling and volatile prices, the switch to a new vine training form allowing machanization, could not enhance the profitability of wine growing. The high import dependence led to measures to increase self sufficiency. However, the decision makers lost control over the definitely welcomed increase of the cultivated area, which exceeded 60% between 1960 and 1980. This, and significant increases in surface productivity, resulted in a rapid growth in output and further on in overproduction and a massive real price decline. The 1961 wine legislation, which was meant to influence production in terms of both quality and quantity, did not succeed in stopping the quantity orientation of wine production. The situation was unfavorable since, on the one hand, Austrian winemakers were unable to compete in the production of wines intended for mass consumption, whereas, on the other hand, the market for quality wines, in which they were competitive, was still poorly developed. The foundation of the „Weinwirtschaftsfonds“ in 1970, a state funded organisation in order to support the wine industry and the development of exports, could not solve the structural crisis. The wine scandal in 1985 which revealed wine adulteration and counterfeiting of documents on a large scale, has to be seen as a consequence of this crisis. Surplus wines of inferior quality were manipulated in order to be exported mainly to Western Germany as high quality wines. The involved winemakers did not refrain from using potentially health damaging substances. The effect ot the scandal was a collapse of the wine exports as well a serious loss of reputation. The scandal also revealed shortcomings in wine supervision and marketing as well as the implication of several politicians of both the Austrian conservative and socialist party. From 1985 on, many reforms were implemented in order to lead the Austrian winesector out of the crisis. A new wine legislation imposing yield restricitions and an official validation number were introduced, the cultivation area was reduced and new quality standards were set up. Wine production was reduced and the supply more adapted to the demand. The 1986 established „Österreichische Weinmarketing Service GmbH.“, a professional wine marketing organisation, rebuilt the image, replaced the grape variety-based by origin-based marketing and could lead the Austrian wine industry on a winning course. Howewer, the present thesis demonstrates, that the wine scandal was not the turning point for the Austrian wine sector as it is commonly believed. A strategy aiming at the production of quality wines, can be traced back to the 1920's. Changes in demand proved to be a decisive factor for the successful turnaround in the 1990's. The Austrian wine industry took advantage of these more favorable circumstances than it was the case more than thirty years ago. We should also not underestimate that Austria's full integration into the European Community improved export conditions. Even though the wine scandal might have had a catalyst impact and speeded up the reform process, the evolution of the Austrian wine sector has to be placed in a larger historical context.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
Contemporary history Austria Agriculture Viticulture Austrian wine Economy of the Austrian Wine sector Austrian Wine scandal Structural change
Schlagwörter
(Deutsch)
Zeitgeschichte Zweite Republik Österreich nach 1945 Wirtschaftsgeschichte Landwirtschaft Weinbau Weinwirtschaft Österreichischer Weinskandal Weinkonsum Strukturwandel Österreichisches Weinwunder
Autor*innen
Philippe Crapouse
Haupttitel (Deutsch)
Katharsis oder Katalysator?
Hauptuntertitel (Deutsch)
wie der österreichische Weinbau aus der Krise kam und welche Rolle der Weinskandal 1985 dabei spielte
Publikationsjahr
2010
Umfangsangabe
200 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Erich Landsteiner
Klassifikation
15 Geschichte > 15.09 Wirtschaftsgeschichte
AC Nummer
AC08134084
Utheses ID
9175
Studienkennzahl
UA | 312 | | |
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