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Wirkungsmechanismen menschlichen Verhaltens bei Verwaltungsdelikten
eine ökonomische Analyse mit Hilfe von Erkenntnissen der behavioral economics und der Sozialpsychologie
Martin Stein
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Wirtschaftswissenschaften
Betreuer*in
Wolfgang Weigel
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.1256
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29162.06503.342470-7
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Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Ziel dieser Arbeit war es das klassische rechtsökonomische Entscheidungsmodell welches auf den Arbeiten von Becker und Polinsky beruht zu hinterfragen und mit Erkenntnissen der neueren ökonomischen Disziplin der behavioral economics zu verbinden. Interessierend waren dabei vor allem die Implikationen des Modells für das Handeln des Staates in Bezug auf die Prävention von Straftaten. Als Rahmen für die Untersuchung in dieser Arbeit wurde die Entscheidungssituation gewählt die entsteht, wenn ein Individuum vor der Wahl steht eine Straftat zu begehen oder nicht. Anhand des Beispieles eines Verwaltungsdeliktes, dem Schwarzfahren, sollten die Einflussfaktoren die für diese Entscheidungssituation wesentlich sind erfasst werden. Um das Beispiel anschaulicher zu gestalten wurde in dieser Arbeit auf das öffentliche Verkehrssystem der Wiener Linien Bezug genommen. Um die Entscheidungssituation ökonomisch zu modellieren wurde das klassische Modell von Polinsky herangezogen. Zunächst wurde der klassische theoretische Rahmen beschrieben und die Grundsätze des klassischen rechtsökonomischen Modells von Polinsky wie Nutzenmaximierung, Rationalitätsannahme und Effizienz besprochen. Das klassische Modell geht davon aus, dass ein Individuum dann eine Straftat begeht, wenn der erwartete Nutzen daraus größer ist als der erwartete Verlust, welcher sich aus dem Erwartungswert der drohenden Strafe bildet und damit das Produkt der Strafhöhe und der Kontrollwahrscheinlichkeit darstellt. Von diesem Grundmodell ausgehend wurden nun sukzessive eine Auswahl von Erkenntnissen der behavioral economics hinzugefügt. Als erstes wurde der so genannte Optimis Bias appliziert. Der Optimism Bias beschreibt einen Wahrnehmungs- und Informationsfehler der dadurch entsteht, dass Individuen sich selbst eine geringere Wahrscheinlichkeit zuschreiben von negativen Ereignissen betroffen zu sein als anderen Personen. Durch die Berücksichtigung des Optimism Bias wird im Modell der Entscheidungsfindung bezüglich des Begehens einer Straftat nicht mehr die objektive Wahrscheinlichkeit bei der Straftat ertappt zu werden integriert sondern die durch den optimism bias subjektive verzerrte Wahrscheinlichkeit. Danach wurde die prospect theory vorgestellt, welche von Tyversky und Kahneman (1974) entwickelt worden ist und eine Alternative zur vorherrschenden Erwartungswerttheorie darstellt. Dabei betonen die Autoren, dass die Ausgangssituation einer Entscheidung entscheidungsrelevant ist. In anderen Worten spielt es eine Rolle, ob zum Beispiel eine Strafe von 20€ auf 40€ oder von 100€ auf 120€ erhöhe, da die Ausgangslage unterschiedlich ist. Obwohl in beiden Fällen die Strafe um den absolut gleichen Betrag erhöht wird, wird die Veränderung der Strafhöhe in beiden Fällen unterschiedlich wahrgenommen. Tyversky und Kahneman postulieren, dass die Wirkung einer Veränderung geringer wird mit zunehmender Entfernung vom Referenzpunkt und damit der Ausgangslage einer Entscheidung. Dies bedeutet, dass der Grenzschaden aus einer Strafe mit steigender Strafe abnimmt. Somit wird im Modell der Entscheidungsfindung bezüglich des Begehens einer Straftat der Betrag der Strafhöhe in eine Funktion eingebettet welche den Einfluss der prospect theory repräsentieren soll. In einem Exkurs wurden weiters für diese Arbeit relevante psychologische Theorien vorgestellt. Dabei wurde zunächst der Dissonanzbegriff nach Festinger (Herkner, 2001) definiert und welche Auswirkungen Dissonanz auf menschliches Verhalten hat. Darauf hin wurde die Selbstdiskrepanztheorie nach Higgins betrachtet, welche Diskrepanzen zwischen Standards und Selbstaspekten beleuchtet und deren Einfluss auf Entscheidungssituationen. Schließlich wurde aus den vorgestellten psychologischen Theorien ein Mechanismus abgeleitet der besagt, dass Individuen ihre Entscheidung bezüglich dem Begehen einer Straftat davon abhängig machen ob sie bei der Straftat von anderen Personen beobachtet werden. Der Grad dieses Einflusses variiert mit der Anzahl der beobachtenden Personen und deren subjektive Bedeutsamkeit für das Individuum. Dieser Mechanismus wurde ebenfalls in das erweiterte Modell der Entscheidungsfindung eingebettet. Im empirischen Teil dieser Arbeit ging es darum die Erweiterungen des Modells der Entscheidungsfindung bezüglich des Begehens einer Straftat zu überprüfen. Dabei wurden in einem Onlineexperiment 338 Personen ein Fragebogen vorgelegt und die gesammelten mittels statistischer Analyse ausgewertet. Das Vorhandensein eines optimism bias wurde folgender Maßen überprüft: Eine Gruppe wurde gefragt für wie oft sie denken bei hundert Fahrten mit der Wiener U-Bahn in eine Fahrscheinkontrolle zu geraten. Der anderen Gruppe wurde die Frage gestellt, wie oft sie glauben, dass andere Personen bei hundert Fahrten mit der Wiener U-Bahn in eine Fahrscheinkontrolle geraten. Die Daten wurden mit einem t-Test überprüft und führten zu dem Ergebnis, dass jene Gruppe die Ihre eigene Wahrscheinlichkeit einschätzen signifikant geringere Werte angaben als die Gruppe die die Wahrscheinlichkeit anderer Personen schätzte. Der Hauptteil der Untersuchung befasste sich mit der Wirksamkeit der prospect theory und dem zuvor angesprochenen psychologischen Mechanismus. Den Versuchspersonen wurde ein Szenario beschrieben, bei dem sie mit der Wiener U-Bahn fahren und sie sollten angeben mit welcher Wahrscheinlichkeit sie in dieser Situation Schwarz fahren würden. Um die Auswirkungen der prospect theory zu quantifizieren wurde die Strafhöhe für Schwarz fahren als unabhängige Variable mit den Werten 20€, 40€, 100€ und 120€ manipuliert. Wie schon zuvor erwähnt müssten der Unterschied in der von den Versuchspersonen angegebenen Wahrscheinlichkeit schwarz zu fahren zwischen 20€ und 40€ größer sein als zwischen 100€ und 120€. Die Daten führten jedoch nicht zu eindeutigen Ergebnissen. Vielmehr konnte kein Einfluss der Strafhöhe generell ausfindig gemacht werden. Da der Einfluss der Strafhöhe auf die Wahrscheinlichkeit Schwarz zu fahren statistisch nicht signifikant war, wurde auch die Wirksamkeit der prospect theory in dieser Arbeit nicht weiter analysiert. Mögliche Gründe für das Scheitern der Manipulation der Strafhöhe sind im Diskussionsteil dieser Arbeit angeführt. Die Wirksamkeit des vorgestellten psychologischen Mechanismus wurde in dem gegebenen Szenario so operationalisiert, dass einer Gruppe mitgeteilt wurde der Waggon in den die Versuchspersonen einsteigen wolle sei leer und der anderen Gruppe, dass der Waggon von vielen anderen Personen ebenfalls genutzt wird. Die Daten liefern hierzu signifikante Ergebnisse die darauf schließen lassen, dass der vorgestellte psychologische Mechanismus und damit der Einfluss von anderen Personen bei einer Straftat beobachtet zu werden für die Entscheidung eine Straftat zu begehen relevant ist. Zuletzt wurde im empirischen Teil dieser Arbeit noch darauf eingegangen ob Individuen sich in dieser Entscheidungssituation nun rational verhalten oder nicht. Dabei wurde davon ausgegangen, dass in jeder Versuchsbedingung der gleiche Anteil an rational agierenden Personen vorhanden sein muss. Da es in jeder Versuchbedingung aufgrund der Modellierung rational wäre Schwarz zu fahren sollten auch alle rational agierenden Personen das gleiche tun. Daher sollte in jeder Versuchsbedingung der gleiche Anteil rational handeln. Die Daten zeigen aber, dass dies nicht der Fall ist und Faktoren wie die Strafhöhe Einfluss auf das Handeln besitzen. Daher kann in dieser Situation nicht von rationalem Verhalten sondern nur von limited rationality gesprochen werden. Das von der Theorie abgeleitete erweiterte Modell wurde darauf hin so verifiziert, dass es den empirischen Ergebnissen der Arbeit entspricht. Dabei wurde der generelle Rahmen des Modells unverändert gelassen und die wirksamen Erweiterungen wie der optimism bias und die psychologischen Komponenten beibehalten. Der Einflussfaktor Strafhöhe wurde jedoch aus dem Modell ausgenommen. Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen, dass eine Variation der Strafhöhe für eine Straftat aus der Sicht der Behörden vielleicht nicht den gewünschten Effekt zeigt und die Behörden eventuell auf andere Mechanismen zugreifen sollten um straffälliges Verhalten präventiv zu unterbinden. Auch wird gezeigt, dass bislang in der Ökonomie kaum diskutierte Einflussfaktoren wie psychologische Mechanismen einen signifikanten Einfluss auf das Verhalten von Individuen hat und das die vorherrschende Rationalitätsannahme nicht mit vorliegenden empirischen Ergebnissen zu vereinbaren ist.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
behavioral economics limited rationality administrative offences
Schlagwörter
(Deutsch)
Verwaltungsdelikte menschliches Verhalten Rationalität
Autor*innen
Martin Stein
Haupttitel (Deutsch)
Wirkungsmechanismen menschlichen Verhaltens bei Verwaltungsdelikten
Hauptuntertitel (Deutsch)
eine ökonomische Analyse mit Hilfe von Erkenntnissen der behavioral economics und der Sozialpsychologie
Paralleltitel (Englisch)
Effect mechanisms of human behavior ; an analisis on the basis of administrative offences
Publikationsjahr
2008
Umfangsangabe
84 S. : graph. Darst.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Wolfgang Weigel
Klassifikation
83 Volkswirtschaft > 83.05 Wirtschaftssoziologie, Wirtschaftspsychologie
AC Nummer
AC07484641
Utheses ID
971
Studienkennzahl
UA | 140 | | |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1